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2022-06-28 23:06:39 Umsatzsteuerpflicht von Nachhilfe-, Tanz- & Schwimmunterricht - EuGH, Urteil vom 21.10.2021 – C-373/19

Umsatzsteuerpflicht von Nachhilfe-, Tanz- & Schwimmunterricht

Kategorie: Allgemein | Lesedauer: 3 Minuten

EuGH, Urteil vom 21.10.2021 – C-373/19

Der Bundesfinanzhof hat in seinem Vorlagebeschluss (BFH v. 27.3.2019 – V R 32/18, BStBl. II 2019) begründet, dass am Schwimmunterricht – anders als beim Pkw-Führerschein – ein Allgemeininteresse besteht. Dieser Idee hat der EuGH mit Urteil vom 21.10.2021 eine klare Absage erteilt, mit dramatischen Folgen.

Umsatzsteuerpflicht von Nachhilfe-, Tanz- & Schwimmunterricht

Kategorie: Allgemein | Lesedauer: 3 Minuten

EuGH, Urteil vom 21.10.2021 – C-373/19

Der Bundesfinanzhof hat in seinem Vorlagebeschluss (BFH v. 27.3.2019 – V R 32/18, BStBl. II 2019) begründet, dass am Schwimmunterricht – anders als beim Pkw-Führerschein – ein Allgemeininteresse besteht. Dieser Idee hat der EuGH mit Urteil vom 21.10.2021 eine klare Absage erteilt, mit dramatischen Folgen.

Bundesfinanzhof ruft EuGH an

Dem Bundesfinanzhof gelangt keine Einigkeit über die Frage, ob Schul- und Hochschulunterricht, der nach deutschem Umsatzsteuerrecht steuerfrei gestellt ist, auch die Erteilung von Schwimmunterricht umfasst. „Schul- und Hochschulunterricht“ ist richtlinienkonform auszulegen ist, so entschieden durch das frühere Urteil des BFH vom 07.10.2010 – V R 12/10, BStBl. II 2011. Zur Beantwortung hat der BFH deshalb per Beschluss dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) die Frage vorgelegt, ob das Erlernen elementarer Grundfähigkeiten (hier: Schwimmen) kategorisch dazugehört.

Begriff des Schul- und Hochschulunterrichts ist unionsrechtlich durch den EuGH auszulegen

Offenbar hat der EuGH große Sorge bezüglich einer zu weit gehenden Mehrwertsteuerfreiheit bei kategorischer Auslegung von „Schul- und Hochschulunterricht“. Das Gericht hat mit seinem EuGH-Urteil vom 21.10.2021 C373/19 Dubrovin & Tröger GbR klargestellt, dass die Frage der Mehrwertsteuerbefreiung am Begriff und nicht an der Kategorie des „Schul- und Hochschulunterricht“ gelöst werden muss.

Der europäische Gerichtshof hatte bereits entschieden, dass die Begriffe, die unter die Steuerbefreiungen des Art. 132 MwStSystRL fallen, eng auszulegen sind, da sie Ausnahmen vom Grundsatz darstellen, dass jede Leistung, die gegen Entgelt erbracht wird, der Mehrwertsteuer unterliegt. Die enge Auslegung bedeutet jedoch nicht, dass es keine steuerfreien Umsätze mehr geben soll. Das harmonisierten Mehrwertsteuerrecht soll vielmehr unterschiedliche Behandlungen der Mehrwertsteuer in den einzelnen Mitgliedstaaten verhindern.

Artikel 132 der Mehrwertsteuersystemrichtlinie (MwStSystRL) sieht Steuerbefreiungen vor, mit denen die Förderung bestimmter, dem Gemeinwohl dienender Tätigkeiten durch Steuerfreiheit in der Umsatzsteuer bezweckt wird. Diese Befreiungen von der Umsatzsteuer betreffen jedoch nicht alle dem Gemeinwohl dienenden Tätigkeiten, sondern nur diejenigen, die in der Vorschrift einzeln aufgeführt und genau beschrieben sind.

Schwimmunterricht liegt zwar im Allgemeininteresse...

Nach Auffassung des EuGH stellt Schwimmunterricht unzweifelhaft etwas Wichtiges dar, das ein im Allgemeininteresse liegendes Ziel verfolgt.

...ist in einer spezialisierten Schwimmschule aber mehrwertsteuerpflichtig

Nach Ansicht der obersten europäischen Richter handelt es sich im Streitfall aber bei der Schwimmschule um einen

spezialisierten, punktuell erteilten Unterricht,

der für sich allein nicht der für den Schul- und Hochschulunterricht kennzeichnenden Vermittlung, Vertiefung und Entwicklung von Kenntnissen und Fähigkeiten

in Bezug auf ein breites und vielfältiges Spektrum von Stoffen gleichkommt.

Spezialisierte Bildungsanbieter betroffen

Das Urteil des EuGH hat spezialisierte Bildungsanbieter wie ein Erdbeben eingeholt. Zur Unterrichtsdefinition ist der Vorhang zugefallen und alle Fragen bleiben offen.

Die obersten europäischen Rechtshüter verstehen „Schul- und Hochschulunterricht“ anders als es bisher offenbar in Deutschland gelebte Praxis war. Von der Mehrwertsteuerpflicht sind dann streng genommen auch die Führungen durch den Besucherdienst des Deutschen Bundestages betroffen. Die dort genannten Bildungsanbieter (juristische Personen des öffentlichen Rechts, Volkshochschulen, Einrichtungen ohne Profitabsichten usw.), die nach diesem Gesetz durch die Mehrwertsteuerfreiheit begünstigte

„Vorträge, Kurse und anderen Veranstaltungen wissenschaftlicher und belehrender Art“

anbieten, müssen sich auf eine mögliche Mehrwertsteuerpflicht ihrer Leistungen einstellen, soweit diese nicht im Rahmen einer allgemeinen interdisziplinären Schule angeboten werden.

 

Durch die neue EuGH-Rechtsprechung wird das deutsche Befreiungsrecht von der Umsatzsteuer stark eingeschränkt. In naher Zukunft ist bei betroffenen Unternehmern verstärkt mit Finanzrechtsstreitigkeiten zu rechnen, da diese Leistungen künftig mutmaßlich mehrwertsteuerpflichtig zu behandeln sind.

Was genau vom EuGH unter „punktuell“ erteilten Unterricht fällt, der „für sich allein“ nicht für mehrwertsteuerfreien Unterricht reicht, ist unverständlich. Die Unterrichtsdefinition hält das Gericht in allen wesentlichen Fragen unkonkret. Dies erschwert die Rechtsfindung für Unternehmen.

Dramatische Folgen für Sprachschulen, Tanz- und Musikschulen und Nachhilfeunterricht

Durch das EuGH-Urteil bleibt spannend, ob Sprachschulen (vgl. FG Thüringen v. 9.6.2016 – 2 K 75/16, EFG 2017), Tanz- und Musikschulen (zu Tanzschulen: BFH v. 24.1.2008 – V R 3/05, BStBl. II 2012, 267; einschränkend BFH v. 24.1.2019 – V R 66/17, MwStR 2019, 413; zu Musikschulen: BFH v. 20.8.2009 – V R 25/08, BStBl. II 2010, 15) usw. noch von der Umsatzsteuer befreit werden können oder doch etwa alle Leistungen künftig nur noch mit Mehrwertsteuer abzurechnen sind.

Dies hätte zwangsläufig zur Folge, dass solche Leistungen unweigerlich teurer werden. Von der Literatur wird die Meinung vertreten, dass auch Nachhilfeunterricht betroffen sein könnte, bspw. wegen der Vermittlung von Spezialkenntnissen (Mathematik)

Ergebnis

Für Bildungsanbieter mit einem breit gefächerten Angebot kann möglicherweise eine Mehrwertsteuerfreiheit bestehen bleiben. Spezialisierte Bildungseinrichtungen hingegen laufen Gefahr, die Steuerfreiheit verloren zu haben.


von Patrick Rizzo

Veröffentlicht: 26.06.2022

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