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2024-07-06 08:12:16 BFH ordnet Recht auf Akteneinsicht beim Finanzamt ein

BFH ordnet Recht auf Akteneinsicht beim Finanzamt ein

Kategorie: Allgemein | Lesedauer: 5 Minuten

Die Akteneinsicht ist gelebter Rechtsstaat. Lange Zeit war das Recht darauf gegenüber dem Finanzamt umstritten. Der BFH ordnete sie kürzlich neu ein.

BFH ordnet Recht auf Akteneinsicht beim Finanzamt ein

Kategorie: Allgemein | Lesedauer: 5 Minuten

Die Akteneinsicht ist gelebter Rechtsstaat. Lange Zeit war das Recht darauf gegenüber dem Finanzamt umstritten. Der BFH ordnete sie kürzlich neu ein.

Recht auf Akteneinsicht beim Finanzamt

Und jetzt ist es passiert:

Das oberste deutsche Finanzgericht, der Bundesfinanzhof (BFH), hat in seinem kürzlich am 04.07.2024 veröffentlichten BFH-Urteil vom 07.05.2024, Az. IX R 21/22 klargestellt, dass es ein aus den Betroffenenrechten der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO, Verordnung (EU) 2016/679) abgeleitetes Recht auf Akteneinsicht beim Finanzamt gibt.

Dies wurde lange von der Finanzverwaltung bestritten. Gerichtsentscheidungen in dieser Sache waren vom Fiskus nicht erwünscht. Das Finanzamt wollte sich nicht in die Karten gucken lassen und sah sich unter anderem vom Steuergeheimnis des § 30 AO beschützt.

Streitfall

Geklagt hatten Steuerpflichtige, die von ihrem früheren Steuerberater falsch beraten worden sein sollen und Akteneinsicht in ein bestandskräftiges Verfahren gegenüber dem Finanzamt begehrten, um ihrerseits einen Vermögensschaden gegen den früheren Berater geltend zu machen.

In der Vorinstanz hat das Niedersächsische Finanzgericht mit FG-Urteil vom 18.03.2022, Az. 7 K 11127/18 entschieden, dass die Akteneinsicht wegen einer ermessenfehlerhaften Reduzierung auf Null zu gewähren sei.

Damit wollte sich das Finanzamt nicht abfinden und zog vor den BFH.

Kein generelles Recht auf Akteneinsicht im Steuerrecht

Im Revisionsverfahren führt der BFH aus, dass die ermessensfehlerfreie Entscheidung über den Antrag auf Einsicht in die Steuerakte außerhalb eines finanzgerichtlichen Verfahrens nicht besteht, wenn die Steuerfestsetzung des Steuerpflichtigen für das betroffene Jahr bereits "in Stein gemeißelt" ist, also nicht mehr geändert werden kann. Dies soll im Streitfall insbesondere deshalb gelten, weil die Einsichtnahme nicht aus steuerlichen Gründen beantragt wurde, sondern um die Rechteverfolgung gegen den früheren Steuerberater zu ermöglichen.

Das Finanzamt argumentierte beim BFH, dass der Akteneinsicht materielles Steuerrecht entgegenstünde. So sieht § 32b Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 der Abgabenordnung (AO) vor, dass nicht jedwede Information herauszugeben ist. Die Auskunftspflicht kann von der Finanzbehörde reduziert werden, wenn das Steuergeheimnis (§ 30 AO) es erfordert oder Daten betroffen sind, deren Geheimhaltung wegen überwiegender berechtigter Interessen eines Dritten im Sinne des Artikel 23 Absatz 1 Buchstabe i der DSGVO erforderlich ist.

Der BFH urteilte, dass das Recht auf Auskunft gem. Art. 15 Abs. 1 DSGVO nicht durch Artikel 23 Abs. 1 Buchst. i DSGVO i.V.m. § 32c Abs. 1 Nr. 1, § 32b Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 der Abgabenordnung (AO) ausgeschlossen wird, wenn auch Daten betroffen sind, die dem früheren Steuerberater zuzuordnen sind und diese aus einer Erklärung stammen, die der Steuerberater als Vertreter der Steuerpflichtigen im Sinne des § 80 Abs. 1 Satz 1 AO übermittelt hat.

Der BFH hob das Urteil des Niedersächsischen Finanzgerichts vom 18.03.2022 - 7 K 11127/18 insoweit auf, als das Finanzamt verpflichtet wurde, (vollständige) Einsicht in die Einkommensteuerakte zu gewähren. Das oberste deutsche Finanzgericht argumentiert, dass die Abgabenordnung ‑‑anders als zum Beispiel § 29 des Verwaltungsverfahrensgesetzes‑‑ keine Regelung enthält, nach der ein Anspruch auf Akteneinsicht besteht. Ein solches Akteneinsichtsrecht sei weder aus § 91 Abs. 1 AO noch aus § 364 AO abzuleiten.

Anspruch auf Entscheidung des Finanzamts über Akteneinsicht nach dem Rechtsstaatsprinzip

Aus der Urteilsbegründung des BFH folgt, dass Steuerpflichtigen oder Steuerberatern für ihre Mandanten bei Anträgen auf Akteneinsicht ein Anspruch auf eine pflichtgemäße Ermessensentscheidung der Finanzbehörde zusteht, weil diese nicht gehindert ist, in Einzelfällen Akteneinsicht zu gewähren (BFH-Entscheidungen vom 23.02.2010 - VII R 19/09, BFHE 228, 139, BStBl II 2010, 729, Rz 11 und vom 05.12.2016 - VI B 37/16, Rz 3). Grundlage dieses Anspruchs sei das Rechtsstaatsprinzip gemäß Art. 20 Abs. 3 des Grundgesetzes (GG) i.V.m. dem Prozessgrundrecht gemäß Art. 19 Abs. 4 GG (BFH-Urteil vom 19.03.2013 - II R 17/11, BFHE 240, 497, BStBl II 2013, 639, Rz 11).

Keine Verletzung von Treu und Glauben nach Zivilrecht

Der von den Klägern geltend gemachte Anspruch auf Akteneinsicht beim Finanzamt ergab sich im konkreten Streitfall auch nicht aus den ‑‑auch im öffentlichen Recht anwendbaren‑‑ Grundsätzen aus Treu und Glauben nach § 242 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB). Der BFH hat bereits entschieden, dass insoweit eine rechtliche Sonderverbindung zwischen der Finanzbehörde und dem Steuerpflichtigen bestehen muss, in deren Rahmen der Steuerpflichtige zur Wahrung seiner Rechte gegenüber der Behörde auf die Auskunft (die Akteneinsicht) angewiesen ist (BFH-Urteil vom 23.02.2010 - VII R 19/09, BFHE 228, 139, BStBl II 2010, 729, Rz 13 ff., 18).

Im Streitfall entschied der BFH, dass das Finanzamt sich nicht treuwidrig verhält, wenn die Kläger offensichtlich Regressansprüche gegen den früheren Steuerberater und also keine steuerlichen Zwecke verfolgen ‑‑hier, die Prüfung von Schadenersatzansprüchen gegen den früheren Steuerberater; insofern fehlte ein innerer Zusammenhang mit einem Verwaltungsverfahren, um ein Recht auf Akteneinsicht nach den zivilrechtlichen Grundsätzen aus Treu und Glauben herzuleiten.

Abgeleitetes Recht auf Dateneinsicht über Betroffenenrechte der DSGVO

Nach Art. 15 Abs. 3 Satz 1 DSGVO hat das Finanzamt dem Steuerpflichtigen eine Kopie der personenbezogenen Daten, die Gegenstand der Verarbeitung sind, zur Verfügung zu stellen. Insoweit hat das klagende Finanzamt im Verfahren vor dem Bundesfinanzhof eine empfindliche Niederlage erlitten. Der von den Klägern geltend gemachte Anspruch auf Auskunft über die Verarbeitung der sie betreffenden personenbezogenen Daten nach Art. 15 DSGVO ist vom Finanzamt zu erfüllen.

Durch die Rechtsprechung des EuGH ist inzwischen geklärt, dass Art. 15 Abs. 3 Satz 1 DSGVO dem Betroffenen kein anderes Recht als das in Abs. 1 der Vorschrift vorgesehene gewährt. Der Begriff "Kopie" bezieht sich nicht auf ein Dokument als solches, sondern auf die personenbezogenen Daten, die es enthält und die vollständig sein müssen. Die Kopie muss daher alle personenbezogenen Daten enthalten, die Gegenstand der Verarbeitung sind (EuGH-Urteile FT (Copies du dossier médical) vom 26.10.2023 - C-307/22, EU:C:2023:811, Rz 72 und Österreichische Datenschutzbehörde vom 04.05.2023 - C-487/21, EU:C:2023:369, Rz 32; vgl. auch Senatsurteil vom 12.03.2024 - IX R 35/21, Rz 27).

Ausnahmsweise besteht Recht auf Überlassung von Kopien aus der Steuerakte

Nur wenn die Zurverfügungstellung einer Kopie unerlässlich ist, um die betroffene Person in die Lage zu versetzen, die ihr durch die Datenschutz-Grundverordnung eingeräumten Rechte wirksam auszuüben (vgl. dazu Art. 16, 17, 18, 21, 79 ff. DSGVO), besteht nach Art. 15 Abs. 3 Satz 1 DSGVO ein Anspruch auf Erhalt einer Kopie von Auszügen aus Dokumenten oder sogar von ganzen Dokumenten oder Auszügen aus Datenbanken (EuGH-Urteile FT (Copies du dossier médical) vom 26.10.2023 - C-307/22, EU:C:2023:811, Rn. 75 und Österreichische Datenschutzbehörde vom 04.05.2023 - C-487/21, EU:C:2023:369, Rn. 41 und Rn. 45; Senatsurteil vom 12.03.2024 - IX R 35/21, Rn. 28).

Eine generelle Vermutung besteht insoweit nicht. Vielmehr trägt der Steuerpflichtige die Darlegungslast dafür, dass die Kopie der personenbezogenen Daten sowie die Mitteilung der Informationen nach Art. 15 Abs. 1 lit. a bis h DSGVO nicht ausreichen, um die ihr durch die Datenschutz-Grundverordnung eingeräumten Rechte wahrnehmen zu können.

Begehrt die betroffene Person die Überlassung von Kopien von Unterlagen, die ihre personenbezogenen Daten enthalten, ist es vielmehr ihre Sache, die ihr durch die Datenschutz-Grundverordnung verliehenen Rechte, die sie wahrzunehmen beabsichtigt, zu bezeichnen und auch darzulegen, aus welchen Gründen die Überlassung von Kopien von Unterlagen, die personenbezogene Daten enthalten, hierfür unerlässlich ist (vgl. Senatsurteil vom 12. März 2024 - IX R 35/21, Rn. 28).

Individuelle Beratung

Die vorstehenden Rechtsgrundsätze werden Betroffene, die Akteneinsicht beim Finanzamt beantragen, beachten müssen, wenn sie ihre Rechte gegenüber dem Fiskus aufgrund des Auskunftsanspruchs nach Art. 15 Abs. 1 DSGVO ausnahmsweise in Form einer Akteneinsicht oder durch Überlassung von Kopien aus der Steuerakte rechtfertigen wollen.

Es handelt sich um eine sehr komplexe Materie, die bei unverständlicher Herangehensweise keinen Erfolg verspricht, da das BFH-Urteil in den Augen der Finanzverwaltung als Misserfolg gewertet wird. Wenn Sie daher einen solchen Antrag auf Akteneinsicht ohne fachkundige Hilfe beim Finanzamt stellen, können Sie auf erhebliche Widerstände stoßen.

Bei der Durchsetzung Ihrer Betroffenenrechte können Ihnen unsere externe Datenschutzbeauftragte und Rechtsanwältin Olga Stepanova, die ihre gesamte juristische Laufbahn auf das Datenschutzrecht spezialisiert hat, und Steuerberater Patrick Rizzo einen rechtssicheren Weg aufzeigen und Ihre Interessen gegenüber der Finanzverwaltung vertreten, damit Sie zu Ihrem guten Recht kommen.


von Patrick Rizzo

Veröffentlicht: 06.07.2024

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